Ab den 2010er-Jahren kann auch der größte Optimist nicht mehr leugnen, dass die deutsche Spielepresse auf dem absteigenden Ast ist.

Die CBS war bis August 2019 eines der erfolgreichsten Gaming-Magazine
Dies ist vor allem am beispiellosen Fall der Computer Bild Spiele zu beobachten: 2007 liegt die Springer-Publikation noch bei über 400.000 Käufern, im 1. Quartal 2010 verkauft sich das Heft immerhin noch 236.488 Mal. 2014 werden zum letzten Mal sechsstellige Auflagenzahlen erreicht, und im 1. Quartal 2019 greifen gerade mal noch 27.846 Käufer zur „CBS". Die logische Konsequenz: Das Heft wird im August 2019 eingestellt; die Spieleberichterstattung findet seitdem nur noch online auf computerbild.de statt.
Doch auch die Absatzzahlen der anderen deutschen Spielemagazine sind im freien Fall: Bei GameStar sind von einst noch 135.000 Heftverkäufen im 1. Quartal 2010 gut sechs Jahre später nur noch 54.000 übrig (3. Quartal 2016). Danach meldet Neu-Besitzer Webedia, der die IDG Entertainment 2015 Media nebst aller Hefte und Online-Portale aufgekauft hat, die GameStar bei der IVW ab. Was im Übrigen auch alle sonstigen Mitbewerber bereits getan haben.
Du willst mehr wissen?
Du bist auf den Geschmack gekommen und hast nun richtig Lust in alten Heften zu schmöckern? Dann sind diese webseiten für dich die beste Anlaufstelle:
Markus Schwerdtel, Mitglied der GameStar- und GamePro-Chefredaktion, schrieb 2017 dazu im Forum auf gamestar.de: „Die IVW-Prüfung kostet uns jeden Monat eine Stange Geld. Zugleich interessiert sich auf Publisher- und damit auch Anzeigenkundenseite kaum jemand mehr für diese Zahlen. Wir sparen uns also – wie zum Beispiel die PC Games schon lange – in Zukunft die IVW-Zählung für die Print-Auflagen (…)"
Webedia kann die immer schlechteren Heftverkäufe von GameStar und auch GamePro, die im 3. Quartal 2016 nur noch 12.000 Magazine verkauft, durch seine erfolgreichen Online-Portale und Bezahlservices wie GameStar Plus abfangen.

Die PC Action hielt sich immerhin 16 Jahre. Anfang 2013 zog Computec jedoch den Stecker.
Anderen Mitbewerbern gelingt das nicht, deshalb müssen ab den 2010ern einige weitere Spielepublikationen die Segel streichen: Von der Computer Bild Spiele abgesehen sind das unter anderem Kids Zone (2011), PC Action, Mobile Gamer (beide 2012), GEE, 360 Live, PS3M (alle Ende 2013), PlayBlu (2014), Die Sims – Das offizielle Magazin, X3 (beide 2015), buffed (Ende 2016) sowie Xbox Games (März 2018), das langlebigste Xbox-Magazin Deutschlands.
Retro Gamer, WASD und Chip Power Play: Zwei erfolgreich, einer gescheitert
Doch auch in dunkelsten Zeiten gibt es immer noch Hoffnungsschimmer, so auch bei den deutschen Spielemagazinen: Seit August 2012 erscheint beim Heise-Verlag mit der Retro Gamer alle drei Monate ein echter Leckerbissen für Fans alter Spiele, den GameStar-Gründer Jörg Langer (heute Chefredakteur von GamersGlobal.de und Podcaster bei den Spieleveteranen) als Projektleiter verantwortet. Neben Langer hauen regelmäßig weitere renommierte Spielejournalisten in die Tasten, zum Beispiel Anatol Locker, Heinrich Lenhardt, Michael Hengst und Winnie Forster (alle ehemalige Power-Play-Redakteure).

Bookazine für Gameskultur: Die WASD erscheint aktuell zweimal im Jahr.
Zudem ist ebenfalls seit 2012 die vom Hörfunkjournalisten und Last Game Standing-Podcaster Christian Schiffer initiierte WASD mit mittlerweile 16 Ausgaben am Start – Untertitel: Bookazine für Gameskultur. Jede der etwa halbjährlich erscheinenden WASDs widmet sich einem anderen Thema, das verschiedene Autoren in Reportagen, Meinungsstücken oder Essays behandeln – etwa Computerspiele und das liebe Geld, Videospiele und der Tod oder Ästhetik und Computerspiele.

Das Comeback der Kultzeitschrift Power Play währte leider nur vier Ausgaben.
Leider auf insgesamt nur vier Ausgaben hat es indes die Neuauflage der altehrwürdigen Power Play gebracht: Chip Power Play. Nachdem Ende 2012 ein von Heinrich Lenhardt verantwortetes Sonderheft anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Power Play unter dem Banner der Computerzeitschrift Chip veröffentlicht wurde und sich ordentlich verkaufte, sollte das Magazin in vierteljährlicher Erscheinungsweise an frühere Glanzzeiten anknüpfen. Obwohl bekannte Spielejournalisten von früher an Bord waren – darunter neben Heinrich Lenhardt namentlich Winnie Forster, Anatol Locker, Michael Hengst, Jörg Langer, Roland Austinat, Harald Fränkel, Denis Brown und Stephan Freundorfer – ging die Rechnung für den Chip-Verlag offenbar nicht auf; das Projekt wurde im November 2013 wieder beerdigt.

Gestart 2017: Das GAIN Magazin
Nur ein Neuling und der Stand der Dinge
Nach neuen deutschen Print-Spielemagazinen musste man in den letzten Jahren dann auch mit der Lupe suchen: Abgesehen vom Anfang 2017 gestarteten GAIN Magazin, das sich selbst den Anspruch stellt, redaktionell komplett unabhängig zu sein und sich dem Medium auf erfreulich erwachsene und anspruchsvolle Art und Weise nähert, sind neue Games-Zeitschriften Mangelware. Dafür kann sich die opulent gestaltete GAIN aber im wahrsten Sinne des Wortes wirklich sehen lassen und hat nicht umsonst den German Design Award 2019 gewonnen.
Der deutsche Spielemagazinmarkt in 2020:
PC-Spiele-Magazine: GameStar (Webedia), PC Games (Computec)
PC- und Konsolenspiele: Games Aktuell (Computec), GAIN (Michal Hejzner)
Nur Konsolenspiele: M! Games (Cybermedia), GamePro (Webedia)
Single-Format: play4 (Computec), N-Zone (Computec)
Spezialmagazine: PC Games MMore (Computec), PC Games Hardware (Computec), making games (Computec), WASD (Sea of Sundries), FS Magazin (VST)
Retro-Magazine: Retro Gamer (eMedia), Return (Sign Set), Retro (CSW-Verlag)
Fazit: Gedruckter Spielejournalismus lebt weiter, kocht aber auf kleiner Flamme
Es zeichnet sich ab, dass sich die Situation für gedruckte Spielemagazine auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Print-Spielejournalismus bedient mittlerweile vornehmlich Gewohnheitskäufer und Liebhaber von Zeitschriften; die aktuelle Berichterstattung über Computer- und Videospiele ist längst fest in der Hand von YouTubern, Streamern und verstärkt auch Podcastern. Und dennoch haben Spielezeitschriften ihre Daseinsberechtigung – umfangreiche Reportagen, Essays, zeitlose Hintergrundberichte und Retro-Themen sind hier nach wie vor bestens aufgehoben.
Es wird in jedem Fall spannend sein zu sehen, wie sich der Markt der Gaming-Publikationen im neuen Jahrzehnt entwickelt und ob es noch Verlage gibt, die sich mit frischen Konzepten und dem nötigen Idealismus an neue Spielemagazine herantrauen.
Über den Autor
Benedikt Plass-Fleßenkämper, Jahrgang 1977, arbeitet als freier Spielejournalist und leitet seine eigene Medienagentur. Als ehemaliger Chefredakteur des Multiformatmagazins fun generation ist er seit über 20 Jahren Teil des deutschen Spielezeitschriftenmarkts und hat für so ziemlich jede existierende und nicht mehr bestehende deutschsprachige Games-Publikation getextet.
Heute schreibt er unter anderem für Spiegel.de, Golem.de und PC Games. Zudem betreibt er den Podcast Games Insider, in dem er mit seinen Kollegen Olaf Bleich und Sönke Siemens über seinen Beruf, die Gamesbranche sowie aktuelle und klassische Computer- und Videospiele plaudert – und auch über den Aufstieg und Fall der deutschen Spielemagazine (feat. Heinrich Lenhardt).
Wie immer sehr interessant.
Hinweis: Sowohl unter Brave als auch Edge Chromium verdecken der erste und der zweitletzte Infokasten teilweise Screenshots daneben, beim Gain-Magazin lässt sich so die Bildlegende nicht lesen, da überdeckt.