Wie darauf gekommen?
Ich hatte bereits kurz nach der Wende ein Faible für Rennspiele entwickelt – und dann erblickte ich Anfang 1993 in der Erstausgabe der PC Player den Test von Car and Driver – ein Spiel, von dem ich bis dahin noch nie gehört hatte, das da aber als todschick bezeichnet wurde. Ein Adjektiv, das heute vermutlich keiner mehr im Kontext dieses Spiels benutzen würde, damals aber angesichts farb- und strukturarmer Konkurrenz wie Stunts, Test Drive II: The Duel oder Indianapolis 500: The Simulation mehr als verständlich war. Und auch der Rest klang extrem verlockend: Abwechslungsreiche Strecken, realistisches Fahrverhalten der echten Sportwagen – ich musste es haben!
Was ist so gut?

Fotorealismus á la 1992: Glaubwürdige Fahrzeugmodelle, realistische Pisten, skalierte Sprites – und sogar die eine oder andere Textur!
Car and Driver bot unerwarteten Realismus: Zehn Echtwelt-Superkarren von Ferrari F40 und Porsche 959 über Chevrolet Corvette und Lamborghini Countach bis hin zum Mercedes C11 IMSA-Prototyp (der in den Ingame-Texten als "1000 horses in a small, sweaty box" bezeichnet wird) oder die 1966er Shelby Cobra. Jedes Auto mit realistischem Cockpit und für die damalige Zeit sehr ungewöhnlichen Effekten wie funktionierenden Bremslichtern, dazu noch jede Menge Informationen über die Fahrzeuge dank der engen Kooperation mit dem namensgebenden amerikanischen Motorsportmagazin Car and Driver. Dazu zehn Strecken, die unterschiedliche Herausforderungen boten: Auf dem Mahomet Drag Strip durfte man nur mit manueller Schaltung losheizen. Der New York Highway 97 war offen gehalten, wodurch man Ausflüge in die Pampa machen und nach Abkürzungen suchen konnte. Und der Parkplatz wirkte auf den ersten Blick dämlich, entpuppte sich dann aber schnell als die optimale Umgebung, um schnelle Lenkmanöver und punktgenaues Bremsen zu üben.

Alle zehn Wagen boten realistische Cockpits – allerdings nur in niedriger Auflösung. Wollte man in 320x400 loslegen, musste auf die Instrumente verzichtet werden.
Und natürlich war das Teil optisch eine Wucht: Die Karren sahen aus wie in echt (nicht, dass ich damals schon mal einen Ferrari F40 gesehen hätte – aber in meinem Kopf war das hier Fotorealismus!), waren per Gouraud Shading weich schattiert, es gab vereinzelte Streckentexturen, was 1992 noch zukunftsweisende Raketentechnologie war – und das Ganze lief auch noch optional in höherer Auflösung, welche mit 320x400 statt der üblichen 320x200 Bildpunkten damals gängige 386er in den Suizid trieb. Und dann hatte man auch noch die Wahl unter neun Perspektiven: Diverse Außenansichten, Vorbeifahr-Kameras, eine weit herausgezoomte Draufsicht – sowie natürlich die Cockpit-Perspektive mit echt gehaltenen Instrumenten.
Bester Moment?

Das Ende einer knallgelben Chevrolet Corvette. Automatisch gesicherte Replays durften aus vielen Perspektiven bewundert werden.
Wenn's kracht, dann silvestert's: Jede größere Kollision zieht eine knallbunte Pixel-Explosion sowie einen Haufen in alle Richtungen splitternder Kaputtpolygone nach sich. Jedes Rennen wird automatisch aufgezeichnet, und kann dann als Replay aus allen möglichen Perspektiven bewundert werden. Per Modem und Nullmodemkabel dürfen zwei Raser gleichzeitig loslegen. Und der Parkplatz befindet sich im kalifornischen San Dimas – der Heimat der Zeitreisehoschis Bill & Ted, deren Abenteuer ich damals mit Heißhunger verschlungen habe.
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Das allerbeste war aber das Nachspiel: Denn entwickelt wurde Car and Driver von Lerner Research – einer Firma, die vorher unter anderem das großartige Chuck Yeager's Advanced Flight Simulator entwickelte. Noch während der Arbeiten an Car and Driver schloss sich diese Bande dann mit Blue Sky Productions zur legendären Firma Looking Glass Technologies zusammen, was dann bekanntermaßen zu einigen der wichtigsten Spiele aller Zeiten führte – wie Ultima Underworld: The Stygian Abyss, Thief: The Dark Project, Flight Unlimited sowie natürlich System Shock.
Warum kennt es keiner?

Was man in einem Rennspiel nicht erwartet: Einen vollbesetzten Parkplatz.
Hierzulande war das Fachmagazin Auto, Motor & Sport bekannt, Car and Driver dagegen nicht mal offiziell erhältlich – auf einen die Verkaufszahlen in die Höhe treibenden Synergieeffekt konnte Publisher Electronic Arts außerhalb der USA also nicht hoffen. Das Spiel hat meist gute Wertungen kassiert (wie zum Beispiel 83% in der PC Player, 89% in der Play Time oder 81% in der PC Games), schreckte potenzielle Fans aber mit horrenden Hardwareansprüchen, einer extrem sensiblen Steuerung sowie einem sehr anspruchsvollen Spielprinzip ab – Car and Driver war deutlich mehr Rennsimulation als Rennspiel, ganz ähnlich dem drei Jahre zuvor veröffentlichten Indianapolis 500: The Simulation von Papyrus. Man fährt hier nur auf möglichst gute Zeiten – es gibt noch nicht mal auf allen Strecken KI-Gegner! Insofern kann ich absolut verstehen, dass man es langweilig finden kann – gerade im Vergleich zur damaligen Konkurrenz wie Test Drive III: The Passion oder Race Drivin'. Außerdem war die Soundkulisse schlicht schauderhaft. Konsequenterweise hat's kaum einer gekauft.
Wo oder wie kann man es heute spielen?
Nach dem Verkaufsflop ist Car and Driver in den Giftschränken von Electronic Arts verschwunden, und wurde spätestens nach dem durchschlagenden Erfolg der Need for Speed-Serie auch nie wieder angefasst. Insofern kann man nur versuchen, auf Flohmärkten das Original zu finden – oder alternativ einen Blick auf archive.org werfen, wo man es im Browser ausprobieren kann.
Hier gibt's ein paar Spielszenen zu bewundern:
Über den Autor
Paul Kautz, Jahrgang 1976, hat viele, viele Jahre in der Spielebranche verbracht, auf Redakteurs- und Publisherseite. Mittlerweile macht er in PC-Hardware und betreibt nebenbei den Retrospielepodcast Game Not Over. Auf retroplace findest du ihn hier.
Schön zu sehen / lesen, dass tatsächlich noch andere diese "Perle" kennen. Hab das Spiel damals auf dem 386er meines Bruders rauf und runter gespielt. Es hatte dieses Gefühl von "Open World" in der man rumfahren konnte wie man lustig ist. Das hat mir total Spaß gemacht.